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SEHNSUCHT NACH EMOTIONEN
Der Kölner Intendant Christoph Dammann über Gegenwart und Zukunft der Oper

von Peter Blaha, in: prolog, Journal der Staatsoper Wien Juni 2006

Zum Mekka für Wagnerianer wurde die Kölner Oper am ersten Wochenende im April. Aus aller Welt kamen sie angereist, um den Ring des Nibelungen an nur zwei Tagen zu erleben: Samstags um 12 Uhr Das Rheingold, um 17 Uhr Die Walküre, Sonntags um 10 Uhr Siegfried, dem um 18 Uhr die Götterdämmerung folgte. Es war eine gewaltige Herausforderung für alle Beteiligten — für Sänger, Musiker und die Mitarbeiter der Technik, aber auch für das Publikum, dessen Konzentration und Sitzfleisch auf eine harte Bewährungsprobe gestellt wurden. Doch die Opernleitung ließ sich einiges einfallen: In den Pausen und zwischen den Aufführungen wurden nebst allerlei kulnarischen Genüssen sogar Entspannungsmassagen und Tai Chi angeboten, um die Kondition der Besucher in Schwung zu halten.
Events wie dieser, die der Kölner Oper überregionale Aufmerksamkeit einbringen, sind notwendig geworden im Kampf um jeden Zuseher. "Die Besucherzahlen der letzten beiden Spielzeiten haben zwar einen Höchststand der letzten Jahre erreicht und auch die Einnahmen konnten entsprechend gesteigert werden", erzählt Opernintendant Christoph Dammann nicht ohne Stolz im Gespräch mit dem pro:log, "trotzdem sollte man sich nicht zufrieden zurücklehnen. Was wir nämlich feststellen mußten ist, daß zur Zeit vor allem Touristen, Geschäftsreisende und Messe-Besucher die Kölner Oper nicht wirklich wahrnehmen. Dem steuern wir durch gezielte Maßnahmen entgegen, indem wir mit Hotels und der Kölner Messe zusammenarbeiten."

An Phantasie mangelt es Christoph Dammann dafür ebenso wenig wie an Erfahrung. Er ist promovierter Musikwissenschafter, stand als Bariton selbst auf der Opernbühne und kam als Theaterleiter über seine Heimatstadt Lübeck und Mecklenburg im Jahr 2000 nach Köln, wo er unter dem Intendanten Günter Krämer zunächst stellvertretender Operndirektor, zwei Jahre später Operndirektor wurde. Seit 2004 ist er alleiniger Opernintendant und band sich damit längerfristig an die Rheinmetropole, obwohl er auch ein heißer Favorit in der Nachfolge Dominique Menthas als Wiener Volksopern-Direktor war. "Es ist eine reizvolle Aufgabe, für die Kölner Oper zu arbeiten, auch wenn man dabei mit großen Problemen konfrontiert wird." Christoph Dammann spielt damit auf starke Subventionskürzungen an, die zu einem radikalen Sparkurs zwingen. "Das ist eine Situation, in der sich fast alle Opernhäuser Deutschlands gegenwärtig befinden. Man hat eigentlich nur zwei Alternativen: entweder das Handtuch zu werfen, oder sich damit auseinanderzusetzen. Ich habe mich für letzteres entschieden und gesagt: Gut, es ist nun mal so, daß die Kommunen immer weniger Geld zur Verfügung haben. Die Kunst ist keine Insel der Seligen, auch sie muß ihren Beitrag leisten. Daher haben wir ein Konzept ausgearbeitet, das Einsparungen von 6,8 Millionen Euro in drei Jahren vorsieht, bei einem derzeitigen Jahresetat von etwa 36 Millionen Euro. Das hatte schmerzliche Einschnitte zur Folge, vor allem beim Personal. Etliche Stellen in der Technik, der Maske und in den Werkstätten mußten gestrichen werden, wobei wir noch in der glücklichen Lage sind, das durch natürliche Abgänge bewerkstelligen zu können. Trotzdem taten uns diese Eingriffe sehr weh. Auch der Gastetat wurde gekürzt, weshalb wir unser Ensemble vergrößert haben."
Christoph Dammann läßt sich durch diese angespannte Situation aber nicht entmutigen, im Gegenteil: Er beweist, daß man mit Rückgrat und Überzeugungskraft auch einen anspruchsvollen Spielplan auf die Beine stellen kann, ohne damit Publikum zu verlieren. Opern des 20. Jahrhunderts und Uraufführungen — zuletzt Jan Müller-Wielands Der Held der westlichen Welt — nehmen einen wichtigen Platz in der Repertoirepolitik des Hauses ein, wobei Christoph Dammann hier in seinem Generalmusikdirektor Markus Stenz einen phantastischen Mitstreiter hat. "Ich möchte die Kölner Oper als ein Haus positionieren, das sich nicht nur seiner großen Tradition verschreibt und diese weiterführt, sondern das auch offen für die zeitgenössische Oper ist", betont der Intendant. "Ich bin der festen Überzeugung, daß die Kunstform Oper eine Zukunft hat, aber nur dann, wenn diese Innovation im Bereich der Stücke stattfindet. In der mehr als 400jährigen Operngeschichte hat sich erst in den letzten 60, 70 Jahren das Interesse von den zeitgenössischen zu den älteren Werken verlagert, die dafür visuell ständig neu herausgestellt werden. Dadurch ist eine Schieflage entstanden, mit der man sich als Intendant auseinandersetzen muß." Als Gegenstrategie setzt Christoph Dammann darauf, neue Oper im großen Haus einem breiten Publikum vorzusetzen, damit sich die neuen Werke als repertoiretauglich erweisen können. "Sind sie das nicht, hat es keinen Sinn."
Daß es die Oper des 20. und 21. Jahrhunderts so schwer hat, beim Publikum anzukommen, dafür macht Christoph Damman allerdings zu einem guten Teil auch die Komponisten verantwortlich. "Ich glaube, daß sich die heutigen Komponisten von der Oper zu weit entfernt haben. Früher waren das Leute, die genau verstanden haben, wie Oper funktioniert. Sie haben selbst oft Oper dirigiert, oder waren, wie im 18. und frühen 19. Jahrhundert, ursprünglich sogar Sänger, die wußten, wie man eine Stimme zum Klingen bringt. Heute bringen viele Komponisten dieser emotionalen und irrationalen Kunstform leider sehr viel Mißtrauen entgegen. Aber genau nach dieser emotionalen und irrationalen Gattung verspürt das Publikum eine große Sehnsucht."
Um diese Sehnsucht zu befriedigen, hat Christoph Dammann auch für die Saison 2006/07 wieder einen höchst abwechslungsreichen Spielplan zusammengestellt. Der Premierenreigen beginnt mit Wagners Lohengrin, inszeniert von Burgstar Klaus Maria Brandauer, dann kehrt Michael Hampe, einst Kölner Generalintendant, an seine alte Wirkungsstätte zurück, um mit einem jungen Ensemble und Bernd Weikl als Don Alfonso Mozarts Così fan tutte neu herauszubringen. Weitere Premieren gelten Lehárs Lustiger Witwe, Rossinis Barbier von Sevilla, Janáceks Jeufa und als Übernahme aus Hamburg Händels Giulio Cesare in Egitto in einer Regie von Karoline Gruber. Uraufgeführt wird ferner Caligula von Detlev Glanert. Und natürlich wird es aufgrund des großen Erfolges auch wieder einen Ring an zwei Tagen geben, am 10. und 11. März 2007, übrigens mit prominentem Wien-Import: Ricarda Merbeth gibt ihr Rollendebüt als Sieglinde.